Ich wählte als Ergänzungsfach Geschichte, wo wir uns mit einer Archivarbeit auseinandersetzen. Das Arbeiten in den Archiven empfand ich als etwas sehr Spannendes und Emotionales, da man die Quellen direkt vor einem hatte (Tagebücher, Liebesbriefe, Zeitungsausschnitte etc.). So entschied ich mich, meine Maturaarbeit mit Hilfe von Archivquellen zu schreiben. Meine Grossmutter war der Beweggrund für meine Themenwahl. Sie verbrachte ihre ersten Lebensjahre im Seraphischen Liebeswerk Solothurn, so war mit die karitative Institution bereits namentlich bekannt. Sie erzählte mir früher oft vom Seraphischen Liebeswerk und ihrer späteren Pflegefamilie. Lange wusste sie nicht einmal, wer ihre leibliche Mutter ist, geschweige denn, dass sie noch vier Halbgeschwister besass. Sie quälte sich immer wieder mit der Frage, wer wohl ihr leiblicher Vater sei. Im Liebeswerk schwieg man, verweigerte ihr sogar jede Aussage.
Ich begann mir Fragen zu stellen: Weshalb wurde sie von ihrer leiblichen Mutter weggenommen? Wer entschied über solche Kindswegnahmen? Auf die Fragen wollte ich Antworten. So entschied ich mich, über die Umstände im Fürsorgebereich jener Zeit zu schreiben. Den Schwerpunkt legte ich dabei auf die karitative Institution des «Seraphischen Liebeswerks“, da es einen entscheidenen Anteil an der damaligen Fürsorge hatte.
Als schwierig empfand ich die Gliederung des Textes in verschiedene Unterthemen. Zudem stellte sich die Formulierung, dass heisst das Zusammenfassen von den Informationen der Archivquellen, als etwas Schwieriges heraus. Das Recherchieren in den digitalisierten Archiven (NEBIS) nach passenden Quellen forderte einige Einarbeitungszeit.
Das Arbeiten in den Archiven musste präzise geplant werden, da man natürlich nur vor Ort arbeiten konnte. Ausserdem stellte sich die Kommunikation mit dem Seraphischen Liebeswerk Solothurn als eher etwas „harzig“ heraus. Da meine Arbeit sehr persönlich und emotional war, musste ich ganz besonders auf neutrale Formulierungen achten, um kein allzu dunklen Schatten auf das Seraphische Liebeswerk zu legen. Dies war nicht immer einfach.
Besonders interessant war die Arbeit mit den Quellen und vor allem auch emotional. Ein Brief eines siebenjährigen Knaben hat mich besonders berührt und erschüttert. Er schrieb in einer krakligen Schrift (der Brief wies Verfärbungen auf, welche auf Tränen hinweisen) an den Herrgott: „Lieber Gott, bitte hol mich aus der Hölle. Ich möchte hier nicht bleiben.“ Der Brief wird mich wohl noch einige Jahre verfolgen. Auch glaube ich, dass ich mit der Arbeit meiner Grossmutter mit ihrer Vergangenheitsbewältigung ein Stück weit helfen konnte. Immer wieder bedankte sie sich bei mir, dass ich mich um ihre quälenden Fragen kümmerte. Sie fand es schön, dass man sich nach einer so langen Zeit noch für ihre Vergangenheit interessierte.
Silvana Nater, Das Seraphische Liebeswerk