Málaga, 20. – 23. Februar 2020
Spaniens „Transición“ – die Übergangsperiode vom Ende der Francodiktatur bis zur Stabilisierung der Demokratie in den frühen achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts – war zentrales Thema des Eustory-Netzwerktreffens 2020 in Málaga, organisiert von der spanischen Stiftung Real Maestranza de Caballeria de Ronda (RMR) in Zusammenarbeit mit der Körber-Stiftung. In Spanien vollzog sich die Transición nach 1975 in verschiedenen Demokratisierungsschritten, die auf gesellschaflichen Konsens ausgerichtet waren: politische Integration von Sozialisten und Kommunisten, Verfassungsreferendum 1978, Amnestie für die Bürgerkriegsverbrechen, Verhandlungen des Königs mit allen politischen Lagern.
In Portugal nahm die Transición – die Installierung eines demokratischen Systems nach dem Sturz des Salazarregimes und die Dekolonisierung – einen kürzeren Zeitraum als in Spanien ein. Die Thematik wird im Geschichtsunterricht und an den portugiesischen Universitäten offen diskutiert.
Als weiteres Beispiel eines Übergangsprozesses ist etwa die Ablösung osteuropäischer kommunistischer Regimes durch demokratische nach dem Ende des Kalten Kriegs – und das Aufkommen populistischer Regimes – zu sehen. Solche Entwicklungen können sich bis in den gesellschaftlichen Mikrobereich, etwa die Veränderung von Familienstrukturen, auswirken.
Thema des gemeinsamen spanisch-portugiesischen Wettbewerbs waren denn auch politische und soziale Aspekte des Übergangs von der Diktatur zur Demokratie. Eingereicht wurden 146 Arbeiten! Drei prämierte spanische Arbeiten – die Transición in Sevilla, der Fischerstreik in Almeria 1976/77 und die Rolle der Frau während der Transición – präsentierten die Autoren selbst.
Gleichsam als Zeitzeuge der Francodiktatur und der Transición erinnerte Málagas Bürgermeister, Francesco Francisco de la Torre Prados, an die wichtigen Etappen der postfranquistischen Ära und die damit verbundenen Schwierigkeiten, wie sie sich etwa in Málaga zeigten: Noch offene Wunden aus dem Bürgerkrieg, zum Ausdruck gekommen in der Kontroverse um die Öffnung von Massengräbern, erschweren die Versöhnung. Und: Die spanische Geschichte sei nicht als die separierte Geschichte einzelner Regionen, sondern als Narrativ des Gesamtstaates zu begreifen. Dass die Eustory-Wettbewerbe auch die Frage der Demokratie thematisieren, würdigte der Redner ausdrücklich.
Während eines Besuchs des Picassomuseums, das einen Einblick in den Variantenreichtum von Malstilen und Techniken des in Malaga geborenen Künstlers gibt, erläuterte dessen Direktor, José Lebrero, Picassos Verfügung, das an der Pariser Weltausstellung 1937 präsentierte Gemälde „Guernica“ dürfe erst nach der Wiedereinführung der Republik nach Spanien zurückgebracht werden.. Diesen Transfer erlebte der Maler leider nicht mehr.
In der Paneldiskussion zum Thema Wahrnehmung der Transición im Spanien der Gegenwart mit dem Historiker Antonio Herrera (Universität Sevilla), dem Kommunikationswissenschaftler Teodoro Léon Gross (Universität Malaga) und der Historikerin Stefanie Schüler-Springorum (Direktorin des Zentrums für Antisemitismusforschung, TU Berlin) wurde zwischen der historiographischen Debatte – u.a. zur Rolle des Königs Juan Carlos, des ersten Ministerpräsidenten Suarez, der Arbeiter- und der Studentenbewegung – und der Debatte in den Massenmedien – Bewertung der Übergangsperiode, Akzeptanz der Reformen bei etablierten und Linksparteien – unterschieden. Die Übergangsperiode war ein komplizierter kontinuierlicher Demokratisierungsprozess, während dem jedoch auch totalitäre Kräfte des Francoregimes aktiv blieben. Nicht thematisiert wurde damals der Bürgerkrieg. Spanien blieb bis zum Tod Francos 1975 eine Diktatur. Heute stehen Fragen der Erinnerung an den Bürgerkrieg, dessen Darstellung in den Schulbüchern, die Öffnung von Massengräbern sowie desinformierende Social Medias im Zentrum der Debatte. Eine funktionierende Demokratie benötigt ein Informationssystem mit Qualität! Und: Die demokratische Tradition Spaniens von der Verfassung von Cadiz (1812) über die erste Republik (1873) bis zur zweiten Republik (1931 – 1936/39) soll aufgezeigt werden!
Die anschliessende Diskussion in Gruppen bot Gelegenheit, Fragen der Darstellung komplexer historischer Sachverhalte – z.B. der spanische Bürgerkrieg – im Unterricht zu erörtern. Evidenzen, nicht blosse Meinungen zu historischen Fakten, und die Vermittlung von Skills, historische Prozesse analysieren und beurteilen zu können, sind Kernpunkte des Geschichtsunterrichts.
Ein grösseres Zeitfenster gab Raum für den gegenseitigen Austausch der KonferenzteilnehmerInnen.
Die einzelnen Landeswettbewerbe präsentierten sich als gemeinsame Ausstellung auf dem „Marktplatz“. Am deutschen Wettbewerb »So geht’s nicht weiter. Krise, Umbruch, Aufbruch« nahmen 5627 SchülerInnen mit 1992 Beiträgen teil! Thema des deutsch-französischen Wettbewerbs war der Frieden nach dem Ersten Weltkrieg in Frankreich, Deutschland und Europa – Erinnerungen und Erbe eines globalen Konflikts. Die schwierige Frage der sowjetischen Vergangenheit war Thema des ukrainischen Wettbewerbs.
In einem Workshop erläuterte der ukrainische Kollege die Funktionen der wettbewerbseigenen Internetplattform: Vermittlung von Informationen zu den Wettbewerbsregeln, Hochladen der Wettbewerbsarbeiten und Aufzeigen des Bewertungsprozesses.
Ein gemeinsames Geschichtsunterrichtsprogramm von israelischen und arabischen Schülern/innen und Lehrkräften, das sich am nordirischen Modell des gemeinsamen Lernens von protestantischen und katholischen Schülern/innen orientiert, stiess auf besonderes Interesse der KonferenzteilnehmerInnen..
75 Jahre Ende Zweiter Weltkrieg: Im eCommemoration Projekt »Europe 1945-2020: Looking back, thinking forward« untersuchten 25 junge Menschen aus fast 20 Ländern in einem virtuellen Klassenraum unterschiedlichste Perspektiven auf den Zweiten Weltkrieg und unbekannte Lebensgeschichten, die im Zusammenhang mit dem Krieg stehen. Seit Mitte März 2020 können die Ergebnisse dieser Recherche in einem Instagram-Museum betrachtet werden!
Neu in das Eustory Steering Committee wurden Alicja Wancerz-Gluza (Polen), Miguel Monteiro de Barros (Portugal) und Paul Flynn (Irland) gewählt.
Der Eustory Next Generation Summit findet vom 1. bis 5. Oktober 2020 in Galway und Carna statt.
Noch steht der Ort des nächsten Eustory-Netzwerktreffens nicht fest.
Markus Holenstein