8.-12. März 2023 | Warschau
Nach einer dreijährigen coronabedingten Pause fand vom 8.-12.3.2023 erstmals wieder ein Jahrestreffen vor Ort statt. Die Organisation KARTA (Organisatorin des polnischen Geschichtswettbewerbs) war Gastgeberin. Vertreter:innen der Geschichtswettbewerbe aus folgenden Staaten nahmen am Treffen teil: Albanien, Armenien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Frankreich, Georgien, Irland, Israel, Italien, Moldawien, Norwegen, Polen, Portugal, Russland (aus dem Exil in Deutschland und Frankreich), Schweiz, Slowakei, Spanien, Tschechische Republik, Ukraine (eine Vertreterin aus dem Exil in Deutschland, ein Vertreter über Videocall aus der Ukraine), Wales.
Das Treffen befasste sich hauptsächlich mit der Frage, wie mit umstrittener Geschichte («contested history») umgegangen werden soll; der seit einem Jahr dauernde Krieg Russlands gegen die Ukraine war ein Referenzpunkt, auf den in jeder Diskussion direkt oder indirekt Bezug genommen wurde.
Am Mittwoch (8.3.) wurde das Jahrestreffen um 21 Uhr abends im Hotel Puro eröffnet.
Am Donnerstag (9.3.) besuchte die Gruppe das 2015 eröffnete Polin Museum, das sich der Geschichte der jüdischen Gemeinschaft in Polen widmet. Mit Audioguides ausgestattet konnte man selbst gewählte Schwerpunkte in der über 1000-jährigen Geschichte setzen.
Am Nachmittag wurde der Museumsbesuch ergänzt durch eine Führung zu den Schauplätzen des Warschauer Ghettos und den heute noch wenigen sichtbaren Spuren im Strassenbild. Wegen eisiger Kälte, Wind und Schneegestöber harrten nicht alle bis zum Ende der Führung aus.
Am Freitag (10.3.) eröffnete das Panel mit Jaroslaw Kuisz (Journalist, Kultura Liberalna) und Jacek Stawiski (von der polnischen Fernsehstation TVN24) das Programm. Kuisz erläuterte zunächst die unterschiedlichen Interpretationen des aktuellen Kriegs gegen die Ukraine. Dabei fällt auf, dass in Osteuropa der Krieg als Teil eines bereits lang andauernden Prozesses wahrgenommen wird, in dem Russland in imperialer Tradition die Demokratie bedroht, während in westeuropäischen Staaten der Krieg als historisches Ereignis interpretiert wird.
Weiter ging es mit einem Beitrag der Organsiation KARTA. EUSTORY-Vertreterin Alicja Wancerz und ihr Ehemann Zbigniew Gluza gründeten diese NGO 1982 in der Folge der Bürgerrechtsbewegung «Solidarność». Sie erlebten die Jahre unmittelbar nach der Auflösung der Sowjetunion als Zeit des offenen Dialogs unter den osteuropäischen Staaten und Russland. Diese Freiheit im Austausch wurde unter Putins Regierung mehr und mehr eingeschränkt. Mit dem Verbot von Memorial 2021 geriet ein wichtiger Partner in grosse Gefahr und musste sich ins Exil begeben. In Polen wurde daraufhin von KARTA das «Eastern House» eröffnet, ein Forum, in dem der Dialog weitergeführt werden kann. Ausserdem soll ein digitales Archiv mit ukarinischen, russischen und polnischen Materialien aufgebaut werden, um den Prozess der Demokratisierung zu unterstützen.
Am Nachmittag stellte Noam Pupko aus Italien in einem Videocall das Projekt «Rondine» vor. An dieser Schule in der Toskana abolvieren Jugendliche aus Konfliktgebieten zwei Schuljahre und lernen dabei, Konflikte anders als mit Gewalt zu lösen und Feindbilder zur dekonstruieren.
Im zweiten Panel am Nachmittag stellten die beiden Vertreterinnen der russischen Organisation Memorial im Exil ihr Projekt für einen Geschichtswettbewerb in der russischen Diaspora vor (u.a. in Montenegro, Israel, Estland). Eine Aktivität innerhalb von Russland ist nicht mehr möglich, da eine Teilnahme am Geschichtswettbewerb strafbar ist.
Der Samstag (11.3.) war ganz dem Austausch unter den nationalen Geschichtswettbewerben gewidmet. Zunächst berichtete Petro Kenzdor, der EUSTORY-Vertreter aus der Ukraine, in einem Videocall aus Lviv.
Anschliessend wurden in verschiedenen Workshops Projekte vorgestellt und diskutiert: Shamir Yegher aus Israel stellte den Einsatz von Virtual Reality im Unterricht vor, die Teilnehmer:innen des Meetings konnten mit VR-Brillen die Technik direkt erproben; Lusine Kharatyan aus dem neu zum Netzwerk gestossenen armenischen Geschichtswetterb legte dar, welchen Herausforderungen der Wettbewerb in einem sich ständig wechselnden politischen Umfeld stellen muss; Valbona Bezati aus Albanien berichtete über den albanischen Geschichtswettberb, der kurz davor steht, in das EUSTORY-Netzwerk aufgenommen zu werden; Miguel Monteiro de Barros (Portugal), Espen Kirkegaard Espensen (Dänemark) und Luke William O’Donnel (Irland) stellten Unterrichtseinheiten vor, in denen sie die Jugendlichen mittels kontroverser Quellen an das kritische historische Denken heranführen. Nandina Lopez-Jacoiste Ortiz (Spanien) präsentierte das Tool, mit dem der spanische Geschichtswettbewerb seine Materialien elektronisch verwaltet.
Der geschäftliche Teil des Treffens umfasste die Aufnahme Armeniens in das EUSTORY-Netzwerk, die Wahl von Miguel Monteiro de Barros (Portugal), Zuzana Jezerska (Slowakei) und Shamir Yegher (Israel) in das Steering-Comittee und die Präsentation der geplanten Aktivitäten für die jugendlichen Preisgewinner:innen (online-Foren nebst einer Studienwoche in Prag Ende September 2023).
Zwischen den einzelnen Beiträgen und während der Abendessen wurden viele, intensive Gespräche geführt, in denen die Vertreter:innen aus ihren Ländern, von der dortigen politischen Lage und den Herausforderungen im Bildungswesen erzählten. Verständlicherweise dominierte auch in diesen Gesprächen der Krieg gegen die Ukraine und die Gefährdung der demokratischen Werte (auch in Ländern wie beispielsweise Polen oder Israel). Zu wissen, dass die EUSTORY-Geschichtswettbewerbe in ihren Ländern die Jugendlichen zum kritischen Denken animieren und damit einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung der Demokratie leisten, gibt Hoffnung in dieser schwierigen Zeit. Es ist eine grosse Ehre, dass sich die Schweiz an diesem Einsatz für die Demokratie beteiligen darf.
Antonia Schmidlin