Als junge Geschichtslehrerin konnte ich ums Jahr 2000 herum meine ersten grösseren Unterrichtserfahrungen am Gymnasium Unterstrass sammeln, als ich Christiane Derrer während eines (und später zwei weiteren) Sabbatical(s) jeweils ein ganzes Semester vertreten durfte.
Bereits dort erlebte ich das ausserordentliche Engagement Christianes beim Unterrichten, aber auch bei Projekten über den eigentlichen Unterricht hinaus, wie z.B. den Aktivitäten des Unterstrass als UNESCO-assoziierte Schule. Unzählige Erfahrungen aus dem lebhaften Austausch mit ihr konnte ich später an meine eigene Schule mitnehmen. Auch privat habe ich von ihr Unersetzliches gelernt, indem wir einerseits unvergessliche Reisen unternahmen und sie mich andererseits mit vielen Leuten aus den verschiedensten Bereichen der Bildungslandschaft bekannt machte. Unser grösstes gemeinsames Projekt, das uns über 20 Jahre miteinander verband, war aber der Geschichtswettbewerb HISTORIA.
Mit der MAR-Reform in den 1990er-Jahren wurde das Schreiben einer Maturaarbeit zur Pflicht im gymnasialen Curriculum. Viele Jugendliche schrieben ihre erste wissenschaftliche Arbeit im Fach Geschichte oder allgemein zu einem historischen Thema. Darüber sollte man sich als Geschichtslehrperson freuen. Allerdings stellte Christiane Derrer wie viele andere fest, dass die Themen, mit denen sich die Jugendlichen beschäftigten, oft reine «Literaturarbeiten» waren. Kaum jemand dagegen beschäftigte sich mit den Quellen vor Ort.
Dabei ist doch die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte, der Familien- oder Lokalgeschichte, zentral für uns, wenn es um die Frage geht, wer wir sind und woher wir kommen.
Aus diesen Überlegungen heraus hat Christiane die Idee des Geschichtswettbewerbs HISTORIA entwickelt, um Jugendliche zu animieren, sich nach dem Motto «Grabe, wo du stehst» mit der eigenen Geschichte zu befassen: Oral History mit Nachbarn oder Grosseltern zu betreiben, Archive im Dorf oder der nahen Stadt zu besuchen, zu stöbern und Dingen auf den Grund zu gehen, die uns nah und doch so fern sind.
Aus dem jetzigen HISTORIA-Vorstand gehörte neben mir auch Christine Stuber zum Gründungsteam des Geschichtswettbewerbs. Auf Christianes Initiative hin tüftelten wir gemeinsam wochen- und monatelang das Konzept für HISTORIA aus.
Einfach war es nicht, Mitstreiter und Mitstreiterinnen zu finden – notabene in allen Landesteilen! -, und Geldgeber, die das Projekt finanziell unterstützten, Archive zur Zusammenarbeit zu gewinnen, Lehrpersonen dafür zu interessieren und auch Behörden von der Notwendigkeit des Projekts zu überzeugen.
Beharrlichkeit, unbändiger Willen, Überzeugungskraft und Charme waren Eigenschaften, die Christiane in höchstem Masse besass.
Der Verein wurde 2003 aus der Taufe gehoben. Christiane wurde Gründungs-Präsidentin und übte das Präsidium über 17 Jahre lang unermüdlich und voller Elan aus. 2020 gab sie dann ihr Amt ab, um die Freiheiten, die die Pensionierung mit sich brachte, ungebundener geniessen zu können, und um nochmals zahlreiche Reisen zu unternehmen. Trotzdem blieb sie HISTORIA weiterhin verbunden und steckte uns immer wieder neue Tipps und Links und Netzwerk-Kontakte zu. Wir sind sehr froh, dass wir Christiane an der diesjährigen Prämierungsveranstaltung zum 20-Jahr-Jubiläum von HISTORIA nochmals begrüssen und ehren konnten!
Beharrlich hat sie auch lange Jahre gegen ihre Krankheit gekämpft. Im Juli hat sie nun diesen Kampf im 69. Lebensjahr verloren.
Christiane wird uns allen in sehr lebendiger Erinnerung – und in vieler Hinsicht ein Vorbild – bleiben!
Kerstin Peter, für den gesamten HISTORIA-Vorstand